U2 360° Tour - Roadie Interview

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Im Trubel rund um die drei 360° Konzerte in São Paulo hatte U2tour.de am vergangenen Samstag die Möglichkeit, einen der zahlreichen Bühenarbeiter, die für U2 rund um den Globus reisen und für den Aufbau, Abbau und Transport der Claw (siehe U2tour Special) verantwortlich sind, am Mikrofon anzutreffen. StageCo-Mitarbeiter Arne de Knegt nahm sich nur wenige Stunden vor dem ersten São Paulo Konzert die Zeit, mit U2tour.de über seine Tätigkeit als U2-Roadie und seine Erlebnisse während der 360° Tour zu sprechen.

U2tour.de:
Arne, wir freuen uns sehr, dieses Interview mit dir durchzuführen. Wie geht es Dir und wie läuft es in São Paulo?

Arne:
Mir geht’s gut und in hier in São Paulo scheint es auch gut zu laufen.

U2tour.de:
Du arbeitest für StageCo. Wann hast Du angefangen, als Bühnenarbeiter zu arbeiten?

Arne:
Ich arbeite für StageCo als Bühnenarbeiter seit 2005. Die erste Show, bei der ich jemals dabei war, war in Deutschland, in Gelsenkirchen, bei der Vertigo Tour 2005.

U2tour.de:
Was genau ist dein Job bei der U2 360° Tour? Für was bist Du verantwortlich?

Arne:
Hier bei der 360° Tour bin ich hauptsächlich verantwortlich für die Außenhaut, welche die Bühne bedeckt, also für die grüne Bedeckung, die Licht absorbiert und für die Stahlteile, die dafür benötigt werden, um diese Außenhaut auf der Stahlkonstruktion zu befestigen. Das ist die hauptsächliche Arbeit, die ich hier mache.


© Arne de Knegt Photography


U2tour.de:
Es gibt drei Teams, die die Stahlkonstruktion zusammenbauen. Du bist im Team "Blue Steel." Wie viele Leute sind denn in jedem Team?

Arne:
Das hängt ein wenig davon ab, wo wir sind, weil wir in Europa StageCo Lastwagenfahrer hatten, die einen Teil der Bühne transportiert haben. Hier in Südamerika wurde das mit einer Spedition outgesourct. Also momentan sind wir hier in Südamerika 26 Leute pro Team. Auch in Nordamerika sind es etwa 26. Außerhalb Europas haben wir eine 23-26 Mann starke Crew, innerhalb Europas sind wir 30 Leute.

U2tour.de:
Du hast bereits bei Stadiontourneen auch mit großen Bands wie den Rolling Stones, Muse oder Bruce Springsteen gearbeitet, also bist Du eindeutig ein Experte zum Thema Touring und Bühnenbau. Können Outdoor-Bühnen deiner Meinung nach in naher Zukunft überhaupt noch größer werden als die Claw oder stellt die Claw das Maximum dar, das Konzertbühnen erreichen können?

Arne:
Nein, Konzertbühnen können schon größer werden. Die Frage ist, ob das so kommen wird. Aber aktuell benötigt diese Bühne ein System aus Türmen, um die Claw, wie Du sie nennst, oder das Raumschiff, oder wie auch immer man sie nennt, hochzuhieven. Sie wird mit vier hydraulischen Motoren hochgehievt, die momentan nur 40% ihrer Kapazität nutzen. Theoretisch könnte man also immer noch eine doppelt so schwere Konstruktion mit den selben Motoren hochhieven, die StageCo derzeit hat. Ich arbeite freiberuflich für sie, also weiß ich gerade nicht alle Details, aber es gibt Spekulationen, dass man damit immer noch größere Bühnen bauen kann. Es gibt vier Motoren pro Team mal drei Teams, das macht 12 hydraulische Motoren. Also theoretisch könnte man drei Bühnen damit bauen, die immer noch größer wären, weil die Motoren dafür ausgelegt sind, noch schwerere Konstruktionen aufzuziehen.

U2tour.de:
Das hört sich ziemlich teuer an. Kann überhaupt eine andere Band als U2 so etwas durchziehen?

Arne:
Das ist in der Tat die Frage, die uns nur die Zukunft zeigen wird. Wenn man jedoch die Vertigo Bühne betrachtet, sieht man, dass diese nur halb so groß war, als die aktuelle 360° Bühne, auch bezüglich der Anzahl der Lastwagen, die zum Transport des Baustahls benötigt wurden. Das war ja 2005, 2006. Wenn man nun Muse oder Coldplay betrachtet, die ebenfalls letztes Jahr auf Tour waren, sieht man, dass diese Konstruktionen gleich groß, oder sogar ein wenig größer waren, als die der U2 Vertigo Tour 2005. Man hat schon 2005 gedacht: "Kann es überhaupt größer werden, als U2?" Und dann, nach ein paar Jahren, haben Bands wie Coldplay oder Muse, die wir vielleicht als kleinere Bands bezeichnen würden, größere Bühnen gebaut als U2 in 2005. Naja, vielleicht wird Muse 2016 ja eine viel größere Bühne haben, als U2 jetzt hat.


© Arne de Knegt Photography


U2tour.de:
Die Welt als Roadie zu bereisen hört sich ja grundsätzlich nach viel Spaß an. Ist es wirklich so oder musst Du so hart arbeiten, dass Du Dir wünscht, die Tour würde bald vorbei sein?

Arne:
Ja, ich denke beides stimmt. Meistens sagen Leute, die über meine Arbeit hören "Wow, das ist cool. Ich will auch so einen Job." Und ich muss sagen, dass ich mich natürlich nicht beschwere, jetzt in São Paulo zu sein - ich war zum Beispiel auch in Kapstadt vor fünf oder sechs Wochen. Also es gibt sicherlich sehr positive Seiten des Bühnenbaus. Andererseits hat man als Roadie auch Überstunden und viel Zeitdruck. Viele von uns sehen das gänzlich als Arbeit. Und freie Tage sind meistens im wahrsten Sinne freie Tage, in denen man sich einfach vom Aufbau erholen muss. Ich denke, es steckt in beiden Seiten Wahrheit drin.

U2tour.de:
In welchen Städten warst Du bereits bei der U2 360° Tour?

Arne:
Also, es begann 2009. Wir waren das Team, das in Barcelona startete, dem ersten Konzert. Danach besuchten wir die Städte in Europa und dann Nordamerika.

U2tour.de:
Gab es auch Städte, wo Du das Gefühl hattest "Lass uns hier schnell wieder abziehen, hier scheint es nicht so toll zu sein"? Ich habe gehört, es soll Probleme in Moskau gegeben haben.

Arne:
Ja, wir waren in Moskau. Gut, es kommt darauf an, was für Probleme du meinst. Wir haben uns einen Virus oder so etwas eingefangen. Ich glaube 25 von 30 Leuten, die wir im Team waren, wurden krank, ich selbst auch. Es ist sicherlich nicht spaßig die Bühne abzubauen und in Zeitdruck zu sein, wenn du dich fünf bis sechs Mal am Tag übergeben musst und genauso oft aufs Klo rennen musst. Aber solche Sachen können passieren. Andererseits war Moskau sicherlich ein Highlight, denn wenn du seit Jahren durch Europa tourst, dann weißt du was London ist, du kennst Amsterdam und Paris. Das sind all die Städte, in welche man regelmäßig kommt. Aber Moskau oder Istanbul sind sicherlich etwas abenteuerlichere oder erfreulichere Reiseziele, mal eine Abwechslung. Viele von uns werden zurückschauen und Moskau als eine der schwierigste Aufgabe betrachten, bei all dem, was passiert ist und dann der Virus, der uns erwischte. Ich betrachte das immer noch als, ich will nicht sagen Highlight, aber mit Sicherheit als einen der unvergesslichsten Momente.

U2tour.de:
Es scheint ja ein sehr straffer Zeitplan zu sein, obwohl ein Team immer etwa zwei Städte auslässt. Nur mal ein Beispiel: Zwischen Moskau und Istanbul waren es nur 12 Tage. Ist es überhaupt möglich innerhalb von 12 Tagen die Claw in Moskau abzubauen und sie den ganzen Weg bis nach Istanbul zu transportieren oder hört sich das nur so schwierig an?

Arne:
Nein. Ich fahre in Europa nämlich auch die Trucks, also war ich auch Teil des Teams, das die Bühne von Hannover nach Moskau fahren musste. In Moskau musste sie dann abgebaut werden, durch ganz Osteuropa nach Istanbul transportiert werden um dann letztendlich wieder aufgebaut zu werden. Und all das tatsächlich innerhalb dieser 12 Tage, wie Du sagst. Natürlich ist das, was das Vergnügen betrifft, der am wenigsten erfreuliche Teil dieser Tour, wenn du weißt, dass diese Bühne so bald wie möglich da runter kommen muss obwohl du krank bist. Denn jede Minute die du verlierst, ist eine Minute weniger, die man fahren kann. Wir fuhren allein bis zur russisch-lettischen Grenze, wo dann weitere Fahrer auf uns warteten, die mit uns die nächsten vier Tage durch Lettland und Polen und dann den ganzen Weg bis zur Türkei gefahren sind. Sicherlich ist ein Plan wie dieser nicht spaßig, wenn du komplett nach dem Tachographen leben musst und das setzt das Team und das Wohlbefinden der einzelnen LKW-Fahrer natürlich unter viel Stress.


© Arne de Knegt Photography


U2tour.de:
Kommen wir zu einem anderen Thema: Magst Du eigentlich die Musik von U2?

Arne:
Persönlich bin ich allgemein nicht so der große Musikfan. Ich höre Radio aber wenn der Radio ausgeschaltet ist, werde ich ihn selbst nicht unbedingt wieder anschalten. Allerdings muss ich sagen, dass ich lieber U2 live sehe, als andere Bands, mit denen ich ebenfalls unterwegs gewesen bin.

U2tour.de:
Aber ihr müsst nicht bei jedem Konzert anwesend sein, oder?

Arne:
Wir müssen überhaupt nicht anwesend sein. Wie gesagt sind wir 26 Leute und wir haben Standby-Pläne für die Konzerttage, das heißt, dass man hin und wieder mal ein Standby-Konzert machen muss. Grundsätzlich sehe ich mir mal eine Show an, wenn es möglich ist. Wenn das Konzert jedoch spät abends ist und wir früh morgens am nächsten Tag arbeiten müssen, bin ich nicht immer dabei. Aber hier zum Beispiel in São Paulo haben wir drei Konzerte und ich habe vor mir die Show morgen Abend anzusehen, weil wir am nächsten Tag immer noch frei haben. Dann haben wir Zeit, uns zu erholen und wieder fit zu werden, um die Bühne wieder abzubauen.

U2tour.de:
Hattest Du in den letzten Monaten auch die Möglichkeit die Band zu treffen?

Arne:
Nein, aber wir essen beim selben Catering im Backstagebereich. Naja, man sieht sie dort, aber das ist schon etwas anderes, als wenn Du an sie herantreten würdest oder Dich mit ihnen unterhalten würdest.

U2tour.de:
Nochmal zurück zur Bühnenkonstruktion. Die ganze Konstruktion soll dem Publikum einen Panoramablick auf die Band gewährleisten. Warum kann man die Performance der Band dennoch als statisch bezeichnen, denn meistens spielen sie nur in eine Richtung und zwar eigentlich fast nur nach vorn. Gibt es hier irgendwelche technische Gründe, welche die Band dazu zwingt nach vorne zu spielen?

Arne:
Ich persönlich würde nein sagen, denn ich weiß, dass es Bühnenkonstruktionen gibt, die eine rotierende Bühne haben, die sich grundsätzlich 359 Grad drehen kann und sich dann wieder 359 zurückdrehen kann, also hat man fast eine 360 Grad Bühne. Als wir 2009 starteten, habe ich eigentlich genau so etwas erwartet: eine sich drehende Bühne. Aber wenn sie spielen, dann wenden sie sich tatsächlich in 80% der Zeit, zur FOH (Front of House), wo auch die Mehrheit des Publikums sitzt. Ich denke, sie hätten da noch mehr für die Leute, die hinter der Bühne sitzen, herausholen können.

U2tour.de:
Wieso ist die Claw nicht in der Mitte des Innenraums platziert, wie viele Fans ursprünglich angenommen hatten, als das Tourkonzept angekündigt worden ist? In Mailand oder in Norman, Oklahoma war sie beispielsweise in der Mitte des Innenraums.

Arne:
Ich war nicht in Mailand aber ich war in Oklahoma und dort hat man es prinzipiell so gemacht, weil die Bühne nicht auf die normale Art hineinpasste. Man hat es also vorwiegend wegen diesen Einschränkungen bezüglich der Größe des Innenraums so gemacht.

U2tour.de:
Amerikanische Footballstadien sind also nicht so groß wie europäische Fußballstadien?

Arne:
Nein, so kann ich das nicht sagen. Aber der Innenraum in Norman war wie ein College-Feld. Bislang war das die einzige Stadt, wo wir die Konstruktion tatsächlich nicht am kurzen Ende des Footballfelds hatten, sondern an der langen Seite. Aber wir haben alle erwartet, dass diese Bühne genau in der Mitte des Innenraums platziert werden würde. Aber ich denke schon, dass es möglicherweise damit zu tun hat, dass sie 80% der Zeit nur in eine Richtung spielen und in dieser Richtung sind ja auch 80% der Fans.

U2tour.de:
Kommt ihr eigentlich in Kontakt mit den U2 Fans, die rund ums Stadion versammelt sind, wenn ihr die Bühne aufbaut?

Arne:
Das hängt wirklich von der Location selbst ab. Manchmal, wenn das Hotel zu weit weg liegt, nehmen wir den Shuttle vom Stadion zum Hotel und es ist dann weniger wahrscheinlich, in Kontakt mit ihnen zu kommen. Hier in São Paulo campen die Leute im wahrsten Sinne mit ihren Zelten vor den Toren seit dem ersten Tag unseres Aufbaus. Wir gehen zum Beispiel zum Catering, wo man auch eine Abkürzung durch das Stadion nehmen kann. Aber wenn man hierbei um das Stadion geht, sieht man die Leute campen. Sie wissen, dass wir mit der Band arbeiten und wir wissen, dass sie warten, um die Band zu sehen. Es gibt hier dann also schon einen gewissen Kontakt.

U2tour.de:
Gibt es denn geographische Unterschiede in den Fankreisen, wenn man zum Beispiel die südamerikanischen Fans mit den europäischen Fans vergleicht? Ich denke nicht, dass europäische Fans drei Tage vor dem Konzert vor dem Stadion kampieren würden.

Arne:
Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ich habe mit einem guten Freund zusammengearbeitet, der vor ein paar Jahren für Metallica in Südspanien tätig war und er sagte das selbe. Sein Team wurden ja schon von den Metallica-Fans erwartet, die dann auch die ganzen drei, vier Tage des Aufbaus anwesend waren. Generell haben wir so etwas wie hier nicht in Europa gesehen, das ist klar. Aber es gibt hier auch Leute, die wahrscheinlich nicht einmal wissen, was die Band spielt. Ich habe mit der Local Crew gearbeitet und die sprechen überhaupt kein Englisch und können nur ein paar Bono Songs imitieren. Aber die haben eindeutig keine Ahnung, was die Band so singt.

U2tour.de:
Welche Stadt steht für Dich als nächstes an bei der 360° Tour?

Arne:
Als nächstes ist Salt Lake City dran.

U2tour.de:
Es gibt ein paar Gerüchte, dass die U2 360° Tour dieses Jahr nochmal nach Europa zurückkehrt oder Asien besuchen wird, aber es gibt noch keine offizielle Bestätigung, wo die Tour tatsächlich enden wird. Kannst Du vielleicht aus dem Nähkästchen plaudern?

Arne:
[lacht] So weit ich weiß ist der letzte bestätigte Show-Prozess in Moncton, Kanada, in New Brunswick... also so weit wir wissen. Wir wissen, dass die Stahlteile zurück nach Belgien geschifft werden müssen, sowie das meiste andere Zeug. Die Beleuchtung, die Videoausstattung, das kommt alles von europäischen Firmen. Aber es gibt keine Bestätigung über das, was nach der letzten Show in Nordamerika passieren wird.

U2tour.de:
Okay, also nach Stand der Dinge wird die Tour definitiv in Moncton, Kanada enden?

Arne:
So scheint es auszusehen. Aber man weiß ja nie.


© Artefacting Mumbai


U2tour.de:
Eine letzte Frage. Du bist Teil eines Teams, das an einem Fotografieprojekt arbeitet, das Artefacting Mumbai heißt. Kannst Du uns etwas mehr darüber erzählen?

Arne:
Klar. Du hast übrigens gut recherchiert. Artefacting Mumbai ist ein Projekt, welches ich und zwei amerikanische Freunde über die letzten anderthalb Jahre entwickelt haben. Das war eigentlich auch der Grund, warum ich nicht bei der U2 Tour in Australien und Neuseeland dabei gewesen bin. Ich habe meinen Vorgesetzten gebeten, diesen Teil der Tour auszulassen, weil ich in Indien sein wollte um ein Fotografieprojekt zu machen, das von den Lücken in der Gesellschaft zwischen Arm und Reich, zwischen Muslimen und Christen, zwischen Indern im Osten und westlichen Leuten im Westen handelt. In diesem Projekt hatten wir einen Fotografen, also ich, einen Videotechniker, ein Freund von mir aus Portland und wir hatten einen Künstler aus New York. Wir drei nutzen die Kunst um soziale Barrieren zu durchbrechen. Wir arbeiteten drei Monate lang in Asiens größtem Slum und wir wollten damit eine andere Realität zeigen. Die meisten Leute, die an einen Slum denken, verbinden damit nur Armut, Kriminalität, arbeitslose Leute, Elend und Krankheiten. Ich streite gar nicht ab, dass das alles in den Slums existiert, aber es gibt auch eine andere Seite: etwa eine stark organisierte soziale Struktur von Leuten, die das Schicksal akzeptieren und weitaus glücklicher sind als ich im Allgemeinen in Nordamerika oder Europa wahrgenommen habe. Grundsätzlich wollten wir Kunst als Möglichkeit nutzen, eine Geschichte zu erzählen.

U2tour.de:
Vielen Dank für dieses Interview!

Arne:
Ich wünsche allen deutschen Fans alles Gute und hoffe für sie, dass U2 bald zurückkommen werden.

Das Interview führte Christoph Beller