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Buch: Um die Welt in 760 Tagen


Um die Welt in 760 Tagen

  • Autor: Ralph Larmann, Dylan Jones
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: Englisch,Deutsch
  • Format: Gebunden
  • Seiten: 256
  • ISBN: 978-3854453956


  • Unsere Bewertung:
  • Besucher Wertung: (96 Stimmen)


Um die Welt in 760 Tagen - U2 – Die 360° Tour

Kann man 256 Seiten einer Konzerttour widmen? Diese Frage stellt man sich, bevor man das Buch „Um die Welt in 760 Tagen“ aufschlägt. Und man stellt schnell fest, dass Dylan Jones und Ralph Larmann auf eindrucksvolle Weise aufzeigen, dass man dies sehr wohl kann – vor allem wenn die Tour U2 360° heißt. Dylan Jones, Herausgeber des GQ-Magazins und Ralph Larmann, renommierter deutscher Konzertfotograf liefern ein Buch, das mehr ist als nur ein reiner Fotoband. Das Buch glänzt nicht nur mit überwältigenden Fotos, nein, es glänzt vor allem dadurch, dass es die 360° Tour aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet und eine Geschichte erzählt, die mit einer Vision Bonos beginnt, sich nicht ohne Schwierigkeiten über den Globus bewegt und letztlich in Moncton endet.



Im Allgemeinen lässt sich das Buch als würdiger Nachfolger von U2 by U2 bezeichnen, des chronologischen Werkes, das die Bandkarriere bis zur Vertigo-Tour dokumentiert. „Um die Welt in 760 Tagen“ komplettiert nun diese bisherige Geschichte mit diesem weiteren, so wichtigen Kapitel, welches wir als dreijährige Monstertour mit Monsterbühne in Erinnerung behalten. Zusätzlich zum Erzähltext von Dylan Jones, der die Band im Laufe der Tour begleitete, wird die Geschichte, ähnlich wie bei U2 by U2 von vielen, langen Zitaten der Protagonisten getragen. Von der Band kommt gefühlt überraschenderweise Adam noch vor Bono am häufigsten zu Wort. Hingegen ist von Larry wenig bis kaum bis gar nichts zu lesen. Interessant sind aber vor allem die Sichtweisen der weiteren beteiligten Personen. Paul McGuinness und Arthur Fogel (Live Nation Vorstandsvorsitzender) beleuchten immer wieder die Business-Seite der Tour. Auch Willie Williams, Soundguru Joe O’Herlihy und Jake Berry (Produktionsleiter) teilen ihre Erfahrungen und tragen maßgeblich zur Multiperspektivität des Buches bei. Bei den vielen und langen Zitaten, die, anders als bei U2 by U2, in den Fließtext des Erzählerrahmens eingebunden sind, mag man allerdings manchmal dazu geneigt sein den Überblick zu verlieren und sich zu fragen, wer eigentlich gerade spricht. Alles in allem jedoch kreiert der Erzählstil aber eine Atmosphäre die einer gemütlichen Runde in einer Bar gleicht: Ein paar alte Freunde erzählen bei zwei, vielleicht sogar drei oder vier Runden Guinness von den Abenteuern, die sie gemeinsam erlebt haben und schwelgen über Erinnerungen, die sich niemals mehr in der Form wiederholen werden. Schon die ganze Stimmung rund um unser Gespräch mit Crew-Mitglied Arne im April letzten Jahres ließ andeuten, dass die 360° Tour für alle Beteiligten mehr war als nur eine simple Konzerttour. Diesen Eindruck unterstreicht dieses Buch noch einmal gewaltig. Allein schon das Titelbild mit den herumbaumelnden Crew-Mitgliedern deutet dies an.

Bestechend sind vor allem die ausführlichen Beschreibungen und die Liebe zum Detail und den kleinen Anekdoten am Rande, die das Buch für den Fan interessant macht. Würden Willie Williams und Mark Fisher nach ZooTV und Popmart überhaupt noch ansatzweise Innovation schaffen können? Willie Williams nimmt uns mit auf die Reise durch den Kreativprozess, der von vielen Schwierigkeiten begleitet war, die aber wiederum von schrittweisen Aha-Effekten gelöst werden. Zusätzlich bietet das Buch viele Skizzen, Computeranimationen und Modelle der Bühne. Auch erfahren wir einiges über die Gefühlswelt der Band auf dieser Bühne, ihren Alltagstrott und ihre Rituale vor einer Show, die so noch nicht bekannt waren. Wir lernen zudem auch, dass in Barcelona extra eine Straße asphaltiert werden musste, wie die 16 Walkie-Talkie Kanäle der Crew lauteten und warum zur Hölle eine belgische Bürotür nach Helsinki verfrachtet wurde. Äußerst interessant ist auch Bonos späte Einsicht darüber, dass Schmerzmittel und Alkohol nicht kompatibel sind und dass man sich bei Rückenschmerzen nicht auch noch ordentlich einen hinter die Binden schmettern sollte.



Die Inhalte sind überdies, zumindest für eine offizielle Veröffentlichung, überraschend mutig. So wird beispielsweise knallhart festgestellt, dass es auf No Line On The Horizon „keinen einzigen Song [gab], mit dem das Publikum wirklich zu begeistern war.“ Unverblümt und unkommentiert werden auch die Steuerproteste bei Glastonbury erwähnt. Generell ist zu verzeichnen, dass das Festival im Buch eine zentrale Bedeutung beigemessen wird. Schon im ersten Kapitel dreht sich vieles um Glastonbury. Im Laufe des Buches wird es übrigens in einem eigenen Kapitel behandelt.

Das Inhaltsverzeichnis gliedert sich wie folgt auf:

  • Aufbruch in neue Dimensionen: Die größte Show der Welt?
  • Die Bühne als Raumstation: Eine Krake so groß wie das Ritz
  • Die galakt. Spinne: Bau sie, und die Leute kommen in Scharen mit ihren Handys
  • Von Barcelona nach Moncton: In 760 Tagen um die Welt
  • Zweiter Anlauf, aber diesmal richtig: Glastonbury 2011
  • Der lange Weg: Von Montreal bis zum Schluss.



Interessant ist hierbei, dass das letzte Konzert in Moncton, bis auf die Überschrift des Kapitels, nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Stattdessen wird die Wichtigkeit der beiden Montreal-Konzerte als Etappenziel vor der Zielgeraden so ausführlich hervorgehoben, dass man meinen könnte, dort hätten die letzten Konzerte der Tour stattgefunden. Somit wirkt die Geschichte auf gewisse Weise etwas unvollständig.

Ein integraler Teil des Werkes sind natürlich die Fotos. Allein deswegen würde sich ein Kauf schon lohnen. Riesige, gigantische Bilder von Ralph Larmann und Eoin McLoughlin zieren oft ganze Seiten und sogar Doppelseiten. Auf beeindruckende Weise wird etwa die Thematik um das Moskau-Konzert visualisiert - auf Fotos von der Bühne hinter einem Heer bewaffneter Polizisten wird die hässliche Fratze der lupenreinen Demokratie festgehalten. Der geneigte U2 Fan assoziiert hier sofort die einprägsamen Bilder aus Sarajevo 1997. Vor allem dominiert aber die Bühne die Seiten des Buches. Sei es die explodierende Claw im Soldier Field vor der Chicago Skyline, das Raumschiff vom Fernsehturm in Toronto aus geknipst, vor dem Gateway Arch in St. Louis oder wenn die riesige Spinne in Horsens zwischen den golfschlägerartigen Lichtmasten in einer dänischen Abenddämmerung ein idyllisches Bild perfektioniert - jedes Foto wirkt anders, aber trotzdem stets spektakulär. Auf beeindruckenden Fotos wird hier vor allem das oftmals so perfekte Zusammenspiel von Elementen der schieren Größe festgehalten: Fußballtempel, Menschenmasse und „Klaue“, dazwischen irgendwo die Band, verschmelzen zu einem einzigen Element, das sich ganz simpel definieren lässt: Gigantismus. Die Band selbst geht dabei allerdings nicht unter. Larmann schafft es vor allem, die einzelnen Bandmitglieder in voller Action, meist in perfekter Harmonie mit Teilen der Bühne einzufangen - oft hat man das Gefühl, als sprängen sie einem gleich in einem Anfall unbändiger Spielfreude aus dem Buch entgegen. Man merkt schnell, dass dieser Mann wohl so jemand wie der Willie Williams der Konzertfotografie sein muss. Manchmal wirken diese Fotos tatsächlich wie „Punk-Rock from Venus“ (so bezeichnete Bono 2003 die Musik des folgenden Albums in Vorab-Interviews), denn der visuelle Overkill der futuristischen Bühne, vorzugsweise aus ungewöhnlichen Perspektiven, widersetzt sich fast der menschlichen Logik. Leute, die die Tour nicht gesehen haben, wären wohl bei manchen Fotos gänzlich überfordert. Und genau dies macht viele Fotos des Buchs so faszinierend.



"Um die Welt in 760 Tagen" strotzt formlich vor Superlativen. Die erfolgreichste Tour, die gigantischste Bühne, die kolossalsten Stadien, die größten Menschenmassen. Nun mag man instinktiv zurecht geneigt sein, dem uneingeschränkt zuzustimmen, indem man schlicht feststellt, dass man der 360° Tour auf wirtschaftlicher, visueller und statistischer Ebene eben tatsächlich nur mit Superlativen gerecht werden kann. Bisweilen wirkt die Darstellung jedoch unnötig nervig, denn ließe sich der Superlativ steigern, so würde Dylan Jones nicht zögern dies zu tun. Wolff-Christoph Fuss würde hier vom Ejakulativ sprechen. Auffällig ist das vor allem, wenn die Tour auf Kosten anderer Bands glorifiziert wird. So wird bereits in der Einleitung mit Fanfaren und Trompeten verkündet, dass man die Rolling Stones im Prestigekampf um die „größte Tour“ überholt hat, im Laufe des Buches wird Pink Floyd mit einem Dorffest verglichen oder erwähnt, dass U2 ihre Vorband Muse in ihre Schranken verwiesen haben. Mit solchen unnötigen Quervergleichen wirkt das Buch stellenweise unnötig protzig, was dem neutralen Musikfan sicherlich missfallen wird. Dies ist jedoch der einzige Kritikpunkt an einem sonst ausgesprochen guten Werk.

Am Schluss gibt es noch einen Ausblick auf die Zukunftspläne der Band. Wird die nächste Tour etwa nur aus jeweils 20 Shows in London, New York und Tokio bestehen? Wird es eine Akustik-Tour geben? Wird die Band etwa in einem Container und auf Baugerüsten (nein, wirklich) spielen? Die aussagekräftigste und seriöseste Einschätzung kommt (wie so oft) von Adam: "Ich denke wir sind psychologisch darauf vorbereitet, beim nächsten Mal nicht draußen zu spielen. Wir werden eine Hallentour machen, doch bis die Songs und der Inhalt dieses Projekts stehen, werden wir keine Vorstellung davon haben, wie die Produktion aussieht. Wir werden wohl den Aufwand herunterfahren und das Ganze mehr auf die Musik und weniger auf die Produktion fokussieren. Das ist jedenfalls mein Eindruck.“



Fazit: Hier kommt die Stelle, wo gewöhnlich die ausgelutschte Aussage kommen würde „dieses Buch lässt Fanherzen höher schlagen.“ Wir legen eins drauf und behaupten, dass Liebhaber der Tour bei diesem Buch einen Rückwärtssalto vor Freude machen würden. „„Um die Welt in 760 Tagen“ ist, mit seiner Ausführlichkeit und der fantastischen Foto-Impressionen fast schon ein Meisterwerk, das die Tour genau so festhält, wie sie tatsächlich war. Groß, gigantisch und einzigartig. Quasi ein Muss für Fans. Denn das Buch ruft auch persönliche Erinnerungen hervor: Klappt man es am Ende zu, so hat man unwiderruflich Elton John’s Rocket Man im Ohr und verspürt dieses Gefühl, das man von früher kennt, als man eine Woche lang auf Klassenfahrt war und nun wieder in in der Öde bei den Eltern sitzt. Im Fachjargon nennt man das After-Tour-Blues.

Alle Fotos copyright Ralph Larmann

Rezensent: Christoph Beller

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Bewertungsschema:

(6)   Ein absolutes Muss!
(5)   Sollte man als großer Fan gelesen haben.
(4)   Eine der besseren Veröffentlichungen.
(3)   Ganz OK, aber mit einigen Schwächen.
(2)   Wirklich kein Muss, aber mit netten Fotos.
(1)   Braucht kein Mensch.


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