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U2 News » Seekrank in Hamburg - ein Abend mit Anton Corbijn


Am gestrigen Abend haben vier Mitglieder unseres Teams die Ausstellung von Anton Corbijn im Bucerius Kunstforum mit anschließendem Künstlerdialog in Hamburg besucht. Im nachfolgenden Artikel versuchen wir, unsere Eindrücke von einem sehr besonderen Abend wiederzugeben.

Es ist wohl nahezu unmöglich, diesen Menschen nicht zu mögen. Anton Corbijn strahlt eine Unaufgeregtheit aus, die ansteckend ist. Unprätentiös wie nahezu keine der Größen die er auf Lichtbild verewigt hat, nimmt der Fotograf um kurz nach 18 Uhr Platz um mit Kurator Prof. Dr. Franz Wilhelm Kaiser einen Dialog über seine Ausstellung 'The Living and the Dead' im Hamburger Bucerius Kunst Forum zu führen.

Dass der Kurator in einer 3D Präsentation durch die Ausstellung navigiert wirkt da schon fast hektisch; Corbijn selbst kommentiert dies trocken: als Kaiser zu einer Fotomontage mit dem Titel 'Heaven' erklärt, die Künstler auf diesem Bild seien alle verstorben, ergänzt Corbijn "... oder seekrank". Die digitale Fahrt durch die Ausstellungsräume findet nicht unbedingt sein Gefallen, aber Corbijn nimmt es gelassen und empfiehlt dem schmunzelnden Publikum "you better close your eyes".
Die Redeanteile des Künstlers hätten gerne etwas größer sein dürfen, im Rahmen des ca. 80 minütigen Dialogs redet Kaiser mehr, als Corbijn selbst. Was Corbijn zu sagen hat, ist unterhaltsam, bewegend und zu jeder Zeit sympathisch. Er habe stets versucht, den Menschen hinter dem Musiker abzulichten, aus diesem Grund existiert nur ein einziges Bild (Elvis Costello), auf denen ein Instrument zu sehen ist.

Neben den weltbekannten Bildern von Musiklegenden wie U2, Depeche Mode, Joy Division, Frank Sinatra, Nirvana und Co steht das Projekt 'a. somebody' im Mittelpunkt der Ausstellung. Auf gut 20 Selbstporträts schlüpft Corbijn hier in die Rolle verstorbener Künstler, posiert als John Lennon, Janis Joplin, Bob Marley und Co. Die Besucher der Ausstellung müssen zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass es sich dabei nicht um die Originale handelt. Die Fotos entstanden allesamt vor dem ländlichen Hintergrund seines niederländischen Heimatdorfes, von dem Corbijn berichtet, es habe großen Einfluß auf seinen Werdegang gehabt. Da es dort für ihn als Jugendlichen nichts gab, für dass er sich hätte begeistern können, sei der Kontrast zur glamourösen Welt der Rockstars umso attraktiver für ihn gewesen. Die Fotografie wurde dann zu seiner Eintrittskarte in diese Welt. Wer Corbijn erlebt, stellt schnell fest, dass er mit seiner ruhigen, unaufdringlichen Art eigentlich den Konterpart zu Sex, Drugs and Rock'n Roll darstellt - und dies ein vermutlich nicht unerheblicher Teil seines Erfolgsgeheimnisses ist. Corbijn hatte sie alle (vor der Kamera), aber ihm selbst ist Eitelkeit völlig fremd.

Die Zuschauer erfahren von den ersten Auftragsarbeiten Corbijns für das seinerzeit führende europäische Musikmagazin NME (New Musical Express), seiner Begegnung mit Joy Division und der aus der Not geborenen Location für ein Shooting mit der Band, welches erst nach dem Selbstmord von Ian Curtis Beachtung fand - da die Band bis auf ihren Frontsänger auf dem dunklen Foto nur schemenhaft zu erkennen war, fand das Bild zunächst keinen Abnehmer. Der Fotograf wirkt tief bewegt, wenn er über Joy Division spricht, ebenso bei den Erinnerungen an den Videodreh zu Nirvanas 'Heart Shaped Box'. Kurt Cobain habe ihn danach um ein weiteres Video gebeten, doch Corbijn lehnte mit der Begründung ab, es würde ihm nicht gelingen einen nur ansatzweise ähnlich guten Clip zu drehen. Heart Shaped Box war somit das letzte jemals produzierte Video von Nirvana.



Frank Sinatra in einem stillen Moment an der Bar, David Bowie leicht bekleidet in seiner Bühnenrolle als Elefantenmensch - es liegt eine gewisse Melancholie über den Abend im Bucerius Forum, zu überwältigend sind die Erinnerungen an die verstorbenen Musik - Legenden, denen Corbijn ohne Zweifel so nahe kam, wie kein zweiter Fotograf. Im Bucerius Forum, diesem Eindruck kann man sich nicht entziehen, fühlt man sich die kommenden sieben Monate ein wenig wie im Walhalla der Rockmusik, eine fotografische Ruhmeshalle der Helden unserer Jugend. Mit ihrer Musik haben sie sich unsterblich gemacht und Corbijns Bilder setzen ihnen ein gebührendes Denkmal. Er weiß um diese Wirkung, und - das wird an diesem Abend deutlich - sie ist ihm sehr wichtig. So lässt Corbijn die Frage eines Besuchers, ob das Foto vom einsam an einer Bar sitzenden Frank Sinatra inszeniert oder zufällig entstanden sei, unbeantwortet. Kunst entsteht in diesem Fall aus der Interpretation des Betrachters, zuviele Informationen zur Entstehung stehen dieser nur im Wege. Aufmerksame Leser des Bildbandes 'U2 & I' wissen übrigens, in welchem Zusammenhang das Bild entstanden ist.

Corbijns fein gestreuten Anekdoten sorgen aber auch immer wieder für heitere Momente, in etwa wenn er davon berichtet, dass Anwohner seines Heimatortes  Strijen die Polizei rufen wollten, als er in Verkleidung Frank Zappas auf einer Weide posierte. Erst der hinzugerufene Bürgermeister, der als einziger in Corbijns Aufnahmen eingeweiht war und ihm sein Haus zum Wechseln der Garderobe für das Shooting zur Verfügung stellte, konnte die Situation beruhigen.

Zu seiner Serie '33 Still Lives', die ebenfalls in die Ausstellung integriert ist, erklärt Corbijn, diese sollten wie Papparazzo Aufnahmen wirken und tatsächlich könnte man meinen, es würde sich hierbei um zufällig entstandene Schnappschüsse und keine inszenierten Bilder handeln.
Viele der Bilder, die für die Ausstellung ausgewählt wurden verdanken Ihr Dasein den Möglichkeiten der digitalen Fotografie. Corbijn, der eigentlich kein Freund davon ist, konnte hierdurch viele längst vergessene Aufnahmen aufbereiten, die zuvor aufgrund von handwerklichen Fehlern nicht abbildbar gewesen wären, in etwa weil sie deutlich zu dunkel waren. Das Eingeständnis dieser handwerklichen Fehler lässt offenkundig werden, dass seine Einstellung zur Fotografie sich durch den kommerziellen Erfolg nicht verändert hat. Corbijn sucht das Menschliche - und Menschen machen Fehler. Natürlich könnte er dank digitaler Technik inzwischen jedes Bild unmittelbar auf seine Qualität hin überprüfen, aber das wäre dann vermutlich so wenig authentisch, wie wenn Mick Jagger ein komplettes Konzert lang Playback singen würde - hier ist Corbijn dann halt doch durch und durch Rock'n Roll.

Um U2 geht es an diesem Abend natürlich auch, wenn auch nur am Rande. Unser Mitarbeiter Dirk fragt Corbijn, warum er die Band für das Joshua Tree Revival nicht an den Originalschauplätzen am Zabriskie Point fotografiert habe und erfährt, dass in erster Linie terminliche Gründe der Band diese Aufnahmen verhindert haben. Die stattdessen verwendeten Aufnahmen in den holländischen Dünen seien zunächst nicht mit der Intention entstanden, sie für die Neuauflage des Joshua Trees zu verwenden, sondern erst im Nachhinein dafür ausgewählt worden.

Kurz vor halb acht endet der erste Teil der Veranstaltung. Die anschließende Signierstunde ist etwas chaotisch organisiert und findet am anderen Ende der Etage statt. Die Besucher aus den ersten Reihen finden sich somit plötzlich am Ende einer schier endlosen Schlange wieder und es entsteht leichter Unmut darüber, dass einige Gäste dem Künstler gefühlt ein ganzes Bücherregal zum Unterschreiben vorlegen. Anton Corbijn bleibt die Ruhe selbst und nimmt sich mehr als 90 Minuten Zeit, um auch den letzten Autogrammwunsch samt persönlicher Widmung zu erfüllen.



Der Abgang des großen Fotografen steht dann sinnbildlich für einen Menschen, der jegliche Starallüren vermissen lässt: während unser Team sich vor derm Kunstforum voneinander verabschiedet, entdecken wir Corbijn, wie er gemächlichen Schrittes alleine über den Rathausmarkt geht. Wer Anton Corbijn erlebt hat versteht, warum die Elite der Rockmusik ihn so dicht an sich herangelassen hat, seine Gegenwart ist im höchsten Maße beruhigend und angenehm; wir danken dem herausragenden Fotografen UND Menschen für einen unvergesslichen Abend.



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